Moleskine reloaded

Dieser Artikel zeigt die Herstellung eines richtigen Taschenbuchs für in die Hosentasche. Richtig heisst, dass es nicht nur nach Taschenbuch aussieht, sondern sich auch so verhält.

Nach längerer Benutzung des Moleskine Volant haben mich zwei Dinge gestört. Erstens ist es keine Spur flexibel, in der Hosentasche fühlt es sich beim Sitzen wie ein Stück Holz an. Zweitens hat es harte Kanten, welche die Hosentasche eher früher als später dort durchscheuern. Laut Beschreibung sind die Volant zwar «mit weichem Einband in Schwarz», von weich ist aber nirgends was zu spüren.

In dieser Anleitung zeige ich, wie man ein Taschenbuch baut, das erstens flexibel ist (auch beim Sitzen nicht spürbar) und zweitens keine Kanten hat, was die Hosentaschen schont.

Material

So sieht alles zusammen am Schluss aus.

Das Tolle ist, dass praktisch nur Alltagsgegenstände und -Materialien benötigt werden.

Teil 1: Lagen für den Buchblock vorbereiten

Weisses Papier und Maschinenbütte

Fangen wir an. Zuerst werden die Bögen geschnitten. Das Taschenbuch wird am Schluss 8×8 cm gross. Die Bögen werden etwas grösser, damit die Seiten bündig abgeschnitten werden können. Ein quer gedritteltes A4-Blatt passt perfekt. Für 4 Büchlein (weniger lohnt sich vom Aufwand her weniger) benötigen wir 12 A4-Blätter vom leichten Papier und 3 A4-Blätter Büttenpapier.

Drittel à etwa 10×21 cm
Laufrichtung der Fasern: Sie liegen wie durch die Bleistiftstriche angedeutet.

Nun werden die A4-Blätter zugeschnitten. Das Messer sollte wirklich scharf sein. Geschnitten wird mit wenig Druck; der Stapel muss nicht auf den ersten Zug zerschnitten sein, der Schnitt verläuft sonst gerne und wird nicht sauber.

Werden die Blätter so geschnitten, stimmt ausserdem die Laufrichtung: Die Fasern liegen im fertigen Buchblock parallel zum Buchrücken. Das ist wichtig, denn wenn Papier feucht wird, werden die Fasern dicker, aber kaum länger – das Papier dehnt sich also senkrecht zur Faserrichtung aus. Liegen die Fasern nun so wie hier, werden nur die Seiten etwas breiter. Anders ist unpraktisch, da das Papier am Rücken geheftet ist und sich dort nicht richtig ausdehnen kann. Es entstehen Wellen.

Die Faserrichtung kann bei Bedarf einfach bestimmt werden. Dazu feuchtet man ein kleines Stück (mindestens 4×4 cm) auf einer Seite an. Es wölbt sich oder rollt sich sogar ein, bis es nach ein paar Sekunden ganz mit Wasser durchtränkt ist. Die Krümmung erfolgt senkrecht zu den Fasern. Merkregel: Fasern krümmen sich nicht gerne.

Zugeschnittene Bögen werden gefaltet

Unterdessen sind die Bögen geschnitten und können gefaltet werden. Das Büttenpapier bildet später das Vorsatz, welches zwischen Buchblock und Ledereinband geklebt wird.

Gefaltete Lagen mit je 4 Bögen

Die Bögen aus dem leichten Papier werden zu viert gefaltet und bilden eine Lage. Jedes Büchlein bekommt zwei Lagen. Vielschreiber dürfen auch 3 Lagen à 4 Bögen verwenden, der Buchblock ist dann allerdings eine Spur weniger flexibel.

Spezielles bis hierher

Damit der Buchblock flexibel bleibt, ist erstens das verwendete Papier dünn (60 g/m² oder weniger). Zweitens werden mehrere Lagen gebunden. Das Aufteilen der Bögen in mehrere Lagen trägt beträchtlich zur Flexibilität bei. Der Grund ist der selbe, warum sich dünnes Papier besser biegen lässt als dickes.

Teil 2: Den Buchblock binden

Stechvorlage für die Lagen

Nun werden die Lagen für die Bindung vorgestochen. Als Schablone dient eine Vorlage aus dickem Papier oder aus Karton. Die langen Linien zeigen die endgültige Breite des Buchblocks an (8 cm), dazwischen sind 6 Punkte. Die Ahle ist vorne angeschliffen, sie wäre sonst zu dick. Im Bastelbedarf sind kleinere erhältlich.

Vorstechen der 6 Löcher

Mit der Schablone werden jetzt alle Lagen einzeln vorgestochen. Die Löcher sollten nicht viel grösser sein als die Nadel. Beim Stechen arbeitet man an einer Tischkante oder ähnlich und sticht mit der Ahle mittig (aus der Winkelhalbierenden) durch.

Der Faden (oder Zwirn – Hauptsache stabil) wird nun einige Male durchs Bienenwachs gezogen, bis er sich richtig wachsig anfühlt. Das machen (nicht nur) Buchbinder schon seit eh und je so, und aus guten Gründen. Der wichtigste in diesem Fall ist, das der Faden beim Heften angezogen werden kann und nicht einfach wieder zurückgleitet. Das ist sehr praktisch.

Buchblock wird geheftet

Nach dem Einstechen werden die Lagen geheftet. Dazu gibt es zahlreiche Varianten. Diese ist nicht eine klassische; sie hat eine enge Bindung der Lagen bei jedem Loch als Ziel. Klassisch wird das durch Hinterkleben des Buchrückens erreicht, die Lagen werden nur jeweils an den äussersten Löchern verbunden und der Buchblock am Schluss auf dem Rücken mit Leim eingestrichen und mit Leinwand oder ähnlich beklebt. Solche Buchrücken halten ewig. Durch den Leim können sich die Lagen allerdings nicht mehr gegenseitig verschieben und verhalten sich wieder wie eine dicke Lage.

Mit der hier vorgestellten Heftung sind die Lagen eng verbunden, doch sie können sich immer noch gegeneinander verschieben. Das wird sofort sichtbar, wenn man einen gehefteten Buchblock mit zwei oder mehr Lagen nimmt und durchbiegt: Auf der Seite bleiben die Lagen nicht bündig, sondern die eine schiebt sich über die andere. Auch: Wenn man die Lagen am Rücken fest zusammendrückt, damit sie sich nicht verschieben können, und den Buchblock dann biegt, so geht dies deutlich strenger.

Heftung: Nähmaschinentechnik

Nun zur Heftung mit zwei Lagen. Die erste Lage ist einfach: Beim ersten Loch wird der Faden nach innen gezogen, beim letzten (Loch 6) wieder nach aussen. Dann kommt die zweite Lage dazu, der Faden wird beim Loch auf selber Höhe (Loch 6) wieder nach innen gezogen. Nun wird der Faden bei Loch 5 nach aussen gezogen und bei der ersten Lage nach innen (ebenfalls Loch 5), um den dortigen Faden gekurvt und den selben Weg zurück gezogen. So weiter bis Loch 2.

Gehefteter Buchblock

Bei Loch 1 verlässt der Faden die zweite Lage wieder. Nun wird er satt angezogen – gerade so, dass der Faden nicht reisst und die Löcher nicht einreissen. Durchs Wachsen gleitet der Faden, wie schon erwähnt, nicht einfach zurück, dafür muss er schrittweise von Loch 6 bis 1 angezogen werden. Zuvor sollte der Rücken noch ganz glatt gedrückt werden, am besten mit einem Falzbein. Anschliessend verknoten, zum Beispiel mit einem Kreuzknoten.

Weitere Lagen können ganz einfach angeheftet werden. Für die dritte Lage wird der Faden bei Loch 1 nach innen gezogen, dann bei 2 nach aussen, um dann aber nur einen Faden von Lage 2 zu umrunden statt in der dortigen Lage zu kehren. Denn nach dem Anziehen ist das Resultat das Selbe.

Spezielles bis hierher

Da der Buchrücken nicht durch Leim und Leinwand zusammengehalten wird, müssen die Lagen eng gebunden werden. Mit einer speziellen Bindetechnik funktioniert dies. Dadurch lassen sich die Lagen immer noch gegeneinander verschieben, der Buchblock bleibt flexibel.

Teil 3: Vorsatz einkleben

Büttenpapier als Vorsatz

Nun kommt endlich das orange Büttenpapier zum Einsatz. (Mit anderen Farben funktioniert es wahrscheinlich auch.) Das Vorsatz verbindet Buchblock und Einband und muss deshalb stabil genug sein. Mehr als 90 g/m² ist bei so leichtem Papier im Buchblock allerdings unpassend, ausserdem wird er dadurch auch nicht flexibler. Noch einmal gut falten mit dem Falzbein oder Fingernägeln, und es kann aufgeklebt werden.

1.5 cm breiter Leimstreifen fürs Vorsatz

Das Vorsatz wird nicht einfach so aufgeklebt. Erst gilt es, die Schokolade zu geniessen, damit die Verpackung zum Abdecken verwendet werden kann. Marzipanschokolade eignet sich gut hierfür, idealerweise verwendet man Noir Satin (Verpackung aus Halbkarton und erstklassiger Inhalt). Genug Werbung gemacht, nun wird vom Vorsatz alles ausser eines 1.5 cm breiten Streifens vom Rücken her abgedeckt und mit Leim eingestrichen, und dann ein Bogen auf die Vorder- und einer auf die Rückseite des Buchblocks geklebt.

Nun ist ein guter Zeitpunkt erreicht, den Duden zu konsultieren. Unter V wie Vorsatzblatt wird der erste Buchblock abgelegt, der zweite unter Ramie, der dritte unter Einband und der vierte unter Buchblock. Dann wird der Duden mit ordentlich Gewicht beschwert. Ich verwende gerne Hantelscheiben. Andere Haushalte mögen besser mit Harassen diverser Getränkesorten ausgerüstet sein.

Mittiges Hinterkleben mit Ramieband

Optionaler Schritt nach dem Trocknen: Der Buchblock kann mittig (und nur dort! Warum, habe ich oben bereits erklärt!) mit Ramieband noch etwas enger geklebt werden: Ramieband zuschneiden, mit Leim bestreichen und bei halb geöffnetem Buchblock über den Rücken kleben. Durchs Öffnen liegt der Ramiestreifen etwas satter.

Spezielle Schritte bis hierher

Abgesehen vom Ramieband entspricht hier ausnahmsweise alles der Norm.

Teil 4: Ledereinband

Buchblock zuschneiden

Nun wird mit Leder eingebunden – aber erst erhält der Buchblock seine endgültige Grösse: 8×8 cm. Alles, was beim Falten der Lagen am Anfang schief war, wird einfach weggeschnitten. Das ist toll. Zur Erinnerung: Mit dem scharfen Messer wenig drücken, dafür in der Bahn bleiben. Auf dem Foto ist übrigens ein Aluminiumlineal. Allerdings mit Stahlband auf der rechten Seite. So zerschneidet man sich nicht den teuren Lineal.

Ledereinband mit Übergrösse vor dem Zuschneiden

Wie das Papier müssen auch die Lederstücke zu gross geschnitten werden, mindestens so gross wie ein Bogen in Originalgrösse, also 10×21 cm. Gerade beim Einband ist das wichtig, denn je kleiner die Reste, die weggeschnitten werden können, desto schwieriger wird es, sauber zu schneiden.

Vorsatz mit Leim bestrichen

Um das Leder sauber aufzukleben, wird erst die eine Seite des Buchblocks gleichmässig mit Leim bestrichen und dann aufs Lederstück geklebt. Bei der zweiten Seite wird der Buchblock leicht geöffnet, nicht mehr als einen Drittel (60°), und das Leder dann auch auf diese Seite gezogen. Das Öffnen ist nicht notwendig, das Leder liegt dann aber etwas straffer um den Buchrücken, was gerade bei dickerem Leder wünschenswert ist, da es dort sonst beim Öffnen eine Welle nach unten bildet. Wenn der Buchblock zu weit geöffnet wird, wird das Vorsatzpapier allerdings zum Rücken hin gezogen, und es bilden sich schnell Runzeln. Aber aus einem Grund binden wir auch gleich 4 Büchlein und nicht nur eines!

Noch ein zweites und letztes Mal werden die Büchlein gepresst, diesmal länger, ein paar Stunden.

Ledereinband zuschneiden mit Abstand

Sind die Büchlein fertig getrocknet, kann der Ledereinband mit der gewohnten Methode zugeschnitten werden. Das Leder soll 2 bis 3 Millimeter über den Buchblock hervorstehen.

Büchlein, fertig zugeschnitten

Die Büchlein sind fertiggestellt! Als Abschluss lohnt es sich noch, zu überprüfen, ob das Vorsatz überall klebt, oder ob es lose Stellen hat. Diese werden bei Bedarf nachgeklebt und das Büchlein nochmals gepresst.

Spezielles, letzter Teil

Typischerweise würde man erst das Leder aufkleben und dann gleich den ganzen Buchblock inklusive Leder auf die 8×8 cm zuschneiden. Dies erspart einen Arbeitsschritt, was gerade bei grösserer Anzahl Büchlein nicht vernachlässigbar ist. Allerdings ist genau dies der entscheidende Trick, die Kanten abzurunden. 2–3 mm reichen, mehr ist überflüssig.

Resultat

Flexibles 8×8-Taschenbüchlein

Gratuliere – das Taschenbüchlein-Viererset ist komplett! Es ist aus alltäglichen Materialien hergestellt – und hochwertiger als vieles, was man kaufen kann. Ausserdem das einzige Büchlein, das den in der Einleitung erwähnten Ansprüchen genügt. Es ist das Resultat von vielen Versuchen und Verbesserungen und nun endlich (klein)serienreif!